Uwe Zenske

 

Teestunde
Notizen und Anmerkungen zu “Rosenrot”

 

Jagodja

Ein Dschaggamädchen dieses Namens, für den in der Literatur auch die Schreibweisen Jagodjo und Ndekocha zu finden sind, ließ der Reichskommissar für die Kilima-Ndjaro-Region, Dr. Carl Peters, im Januar 1892 in einem Akt unverständlicher Grausamkeit an einem Baum aufhängen. Wenn man der Aussage von Schröder, einem Mitglied der deutschen Station in Marangu, Glauben schenken darf, unterbrach er eigens zu diesem Zweck ein Kartenspiel. In der Pause fand eine Art improvisierter Gerichtsverhandlung mit anschließender Vollstreckung des Urteils statt. Man liest mit Erstaunen, daß der Tiermaler Kuhnert, ein Zeuge des Geschehens, sich nicht etwa angewidert abwandte, sondern die Gelegenheit ergriff, den Schatz seiner Erfahrungen um das sicher unvergeßliche Bild eines sanft am Galgen schwingenden, strangulierten schwarzen Mädchens mit gebrochenem Genick zu bereichern. Ein Hauch von Größenwahn schwebte über der Szene.

Der Hintergrund dieser Untat ist nicht mehr zweifelsfrei zu ermitteln. Die in Deutschland gemeinhin kolportierte Version unterstellt, Jagodja sei die Mätresse von Peters gewesen. Er habe sie mit seinem Diener Mabruk, womöglich in flagranti, ertappt und aus Eifersucht und gekränkter Eitelkeit hinrichten lassen. Diese Variante der Geschichte geht auf unstrittig falsche Aussagen von August Bebel am 13. März 1896 vor dem Reichstag zurück. Er behauptete, sich auf einen Brief von Peters an Bischof Tucker, einen Missionar, zu stützen. Dieser sollte ein schriftliches Geständnis und die für die damalige Zeit unglaubliche Rechtfertigung von Peters enthalten haben, er sei mit dem Mädchen nach afrikanischem Recht verheiratet gewesen und habe deshalb über ihr Leben verfügen dürfen.

Bebel hat einen Brief solchen Inhalts nie gesehen. Er existierte nicht einmal. Bei einem Politiker, zumal einem Abgeordneten, wundert man sich besser über nichts.

Bischof Tucker verneinte später jede Korrespondenz mit Peters in dieser Angelegenheit ausdrücklich.

Bebel selbst räumte gegenüber Bernstein, dem New Yorker Korrespondenten des Vorwärts, schon Ende März 1896 ein, sein Bezug auf Tucker sei falsch gewesen. Öffentlich richtiggestellt hat er seine Vorwürfe zunächst aber keineswegs. Dafür war sicher später noch Zeit.

Einige Aussagen im Disziplinarverfahren gegen Peters, etwa die von Kuhnert, Bronsart von Schellendorf, der Eisenbahningenieure Hermes und Mittelstädt und des österreichischen Generalkonsuls Baumann, könnten zwar, wenn auch nicht den von Bebel behaupteten Ablauf der Ereignisse, so doch Rückschlüsse auf ein Eifersuchtsmotiv bei Peters nahelegen. Die Glaubwürdigkeit dieser Zeugen und mögliche eigennützige Beweggründe bis hin zu offenen Rechnungen, die angesichts des Charakters von Peters nicht einmal verwunderlich wären, sind aus heutiger Sicht kaum mehr mit hinreichender Sicherheit zu würdigen. Und selbst wenn Peters sich so geäußert hätte, wie insbesondere in Bezug auf Mabruk behauptet wird, ließe sich dies ebensogut mit seiner Großspurigkeit und seinem Imponiergehabe erklären. Bewiesen wäre dadurch nichts.

Ein immerhin vorhandenes Schreiben von Peters, vermutlich an Bischof Smithers, liest sich wiederum anders, muß ebenfalls keineswegs der Wahrheit entsprechen, hat aber vom zeitlichen Ablauf her die größere Wahrscheinlichkeit für sich. Peters ließ unstrittig zunächst nämlich nur Mabruk hinrichten (wegen Einbruchs und Zigarrendiebstahls, unglaublich genug). Jagodjas erste Flucht, gemeinsam mit drei oder, nach anderer Zählung, fünf jungen afrikanischen Frauen, geschah erst einige Wochen nach dem Vollzug der Strafe an Mabruk. Einer späteren Aussage von Peters entsprechend, soll von diesen Flüchtlingen nach ihrer Rückkehr allein Jagodja wegen Spionage und Hochverrats für sechs Monate zur Arbeit in Ketten verurteilt worden sein, während zwei der Mädchen (aber eben nicht Jagodja) als Mätressen in seinen Haushalt zurückkehrten. Ein anderes Mitglied der Station sagte dazu aus, die Verurteilung Jagodjas habe nur ihrer Absonderung gedient, weil sie an Syphilis litt. Beweise gibt es für keine dieser Versionen.

Jagodja flüchtete später ein zweites Mal, wurde von Marealle, einem Dschaggahäuptling, zurückgeschickt und dann tatsächlich von Peters aufgehängt, aber immerhin drei Monate später als Mabruk. Nach einer Eifersuchtstat sieht das nicht mehr aus. Es mag tatsächlich zur Abschreckung geschehen sein, wie Peters behauptete, und um seiner eigenen Glaubwürdigkeit willen. Er hatte wohl vor Jagodjas zweiter Flucht angekündigt, ein Verlassen der deutschen Station mit dem Tode zu bestrafen. Wegen befürchteter Disziplinlosigkeiten der afrikanischen Söldner angesichts der Belagerung durch einige tausend Stammeskrieger der Warombo mag dies noch zu erklären sein. Die Besatzung der deutschen Kolonialstation in Marangu umfaßte, einschließlich der Askaris, nur 28 Mann. Die Situation war gewiß nicht ungefährlich. Jeder, der kämpfen konnte, wurde gebraucht.

Aber warum sollte das für eine junge Frau gelten, die nur fort wollte? Hätte ein halbwegs kultivierter Mann sie nicht einfach mit einem hübschen Abschiedsgeschenk ziehen lassen?

Es gibt noch eine weitere Variante der Geschichte. Der Dschaggahäuptling Malamia hat sie, lange nach den Ereignissen, erzählt. Danach sollen Jagodjas Fluchten von seinem Konkurrenten Marealle angeordnet worden sein, um Peters gegen ihn, als deren angeblichen Urheber, aufzubringen. Solche Intrigen der eingeborenen Machthaber waren, unter Einbeziehung der Kolonialherren als unfreiwillige Werkzeuge, keineswegs selten. Für den Wahrheitsgehalt von Malamias Erzählung beweist dies, in Ermangelung stützender Tatsachen, leider auch nichts. Sie mag ebenso gut oder schlecht erfunden worden sein wie die von August Bebel.

Wie auch immer es sich verhalten haben mag: Jagodjas sinnloser Tod war das Ergebnis einer kaum vorstellbaren Barbarei. Er markiert, gerade wegen seiner schockierenden Beiläufigkeit, eine dunkle Stunde deutscher Kolonialgeschichte.

Wer Näheres zu erfahren wünscht, sei auf folgende Literatur hingewiesen:

Arne Perras, Carl Peters and German Imperialism 1856-1918, Clarendon Press, Oxford 2004, S.197-200 sowie 214-230

Kathleen Stahl, History of the Chagga People, The Hague 1964, S. 322 (hier ist Malamias Sicht der Dinge wiedergegeben)

Im Bundesarchiv (R 1001: Reichskolonialamt) existieren zahlreiche Unterlagen, deren Fundstellen bei Perras nachgelesen werden können (S. 197, Fn 83-86, S. 198, Fn 87-98, S. 199, Fn 99-105). Sie sind im Internet nicht verfügbar. Zu den Zugangsmöglichkeiten (über Mikrofilm):
www.bundesarchiv.de

 

Malimba

Es ist der bei den Wabena (einem Bantustamm mit dem Siedlungsbereich Ubena, der frühzeitig ein Einvernehmen mit der deutschen Kolonialverwaltung erreicht hatte) übliche Name des Lamellophons. Das Musikinstrument ist in Afrika südlich der Sahara weitverbreitet und besteht aus Metallzungen, die meist auf einem ausgehöhlten Holzkörper befestigt sind. Sie werden durch Ausziehen auf unterschiedliche Längen über einem Quersteg gestimmt. Der Resonanzkörper ist auf der Rückseite mit einem Loch versehen, so daß geübte Spieler durch rhythmisches Öffnen und Schließen mit dem Zeigefinger der linken Hand ein Vibrato erzeugen können. Es steigert, jedenfalls für die an europäischer Musik geschulten Hörer, deutlich den Wohlklang des Instruments.

Eine Abbildung finden Sie bei Gerhard Kubik in: A.M. Dauer (Hrsg.), Musik aus Afrika, S. 28

Die Frage, ob Lamellophone, wie überwiegend angenommen wird, eine afrikanische Erfindung oder aus dem Xylophon entwickelt und von seefahrenden Völkern Südostasiens  übernommen worden sind, ist nicht abschließend geklärt. Arthur Morris Jones (Africa and Indonesia: The Evidence of the Xylophone and Other Musical and Cultural Factors, Leiden 1964, S. 118) hat auf Parallelen zu Bali und Java aufmerksam gemacht. Roger Blench hält seine Hinweise für nicht stichhaltig (Evidence of the Indonesian Origins of certain elements of African Culture, in: African Music, 1982, S. 81-93). Einzusehen unter:
www.rogerblench.info

Hoffen wir im Interesse der Musikethnologie, daß die weitere Debatte ohne eine bewußte oder unbewußte Rücksichtnahme auf afrikanische Empfindlichkeiten geführt werden kann.

 

S.M.S. Geier

Ein Kleiner Kreuzer der kaiserlichen Flotte, der im Jahr 1914 aber schon technisch überholt war. Er wurde noch vor Kriegsbeginn durch den größeren und schnelleren Kreuzer S.M.S. Königsberg ersetzt. der später vor Sansibar H.M.S. Pegasus versenkte und dann, bis zur Sprengung durch die eigene Besatzung in aussichtsloser Lage, im Rufiji-Delta gegen eine englische Übermacht kämpfte.

S.M.S. Geier ist abgebildet unter:
www.deutsche-schutzgebiete.de/sms_geier.htm

 

Tuta-Fuata und Napenda wee

So nannte man zwei Märsche, die Alfred Lorenz, der Leiter des Musikcorps der Deutsch-Ostafrikanischen Schutztruppe, unter Einbeziehung von Melodien der Eingeborenen komponiert hat. Der offizielle Präsentier- und Parademarsch für diese Kolonie war aber der Armeemarsch I, 1a (Präsentiermarsch von König Friedrich Wilhelm III., komponiert vor 1800).

Ein Askari-Fanfaren-Corps aus Ost-Afrika gab es als hübsche Berliner Zinnfigurengruppe (um 1900).

Näheres und eine Abbildung des Musikcorps der Schutztruppe in Daressalam in: Joachim Toeche-Mittler, Armeemärsche. Die Geschichte unserer Marschmusik III, Neuwied 1973.

Eine Zusammenfassung finden Sie auch bei Rudolf Pencz, Marschmusik und Schutzgebiete, unter:
www.traditionsverband.de/download/pdf/marschmusik.pdf

 

Vaudésir

Einer der sieben grands crus von Chablis (neben Grenouilles, Bougros, Les Preuses, Valmur, Les Clos und Blanchot) aus der Chardonnay-Traube, eine preisgünstigere Alternative zum Montrachet, falls man sein Leben oder das eines Freundes mit einem Weißwein beschließen möchte.

(Einige Anmerkungen zum Vaudésir sind nachzulesen bei Alexis Lichine, Die Weine und Weingärten Frankreichs, München 1983, S. 171 und 176)

 

Les Amoureuses

Ein prémier cru von Chambolle-Musigny (Côte de Nuits) unterhalb von Les Musigny, ein Wein mit dem man nichts falsch machen kann, auch wenn die Freundin, Verlobte oder Ehefrau von der Lage noch nie etwas gehört haben sollte und deshalb einstweilen mit Skepsis reagiert.

 

Amontillado

Der Begriff bezeichnet, ebenso wie Fino, Oloroso, Palo cortado (die Aufzählung ist beispielhaft, nicht abschließend), eine Varietät des Sherry. Er entwickelt sich aus einem Fino, wenn durch Absterben der Florhefeschicht die Oxidation einsetzt.

Ein Wein dieser Art erlangte bekanntlich Bedeutung in einer Geschichte von Edgar Allen Poe, der ihn aber anscheinend für ein italienisches Erzeugnis hielt. Seine Weinkenntnisse beschränkten sich auch sonst auf das ziemlich wahllose, oft auch noch orthographisch falsche Zitieren mehr oder weniger berühmter Namen. Das ist nicht als Vorwurf gemeint, nur eine Feststellung.

Die Erzählung, vorgetragen in Ich-Form und aus der Perspektive des Täters, breitet vor dem Leser einen kaltblütig begangenen Mord aus. Er bleibt auch nach fünfzig Jahren, und damit wohl für immer, ungesühnt. Das Motiv wird nur vage angedeutet. Es soll sich um eine Beleidigung handeln, deren nähere Umstände völlige Dunkelheit umgibt. Dennoch nimmt der Protagonist unbekümmert Rache.

Das ist immerhin überraschend, denn Aristokraten verschafften sich nach den Regeln ihres Standes im Duell Genugtuung, nicht durch einen, noch dazu bis in die Details der Kleidung als private Hinrichtung zelebrierten, Mord.

Es wird gelegentlich dafür plädiert, die Geschichte als Selbstparodie des Autors aufzufassen, der sich zur Zeit ihrer Erstveröffentlichung in einem wüsten, einmal sogar handgreiflichen Streit mit dem Schriftsteller Thomas Dunn English befand. Bei der Gleichsetzung von Ich-Erzähler und Autor ist jedoch Vorsicht anzuraten. So nahe stehen sich die beiden nur in Ausnahmefällen. Meist sind sie nicht einmal Zwillinge, schon gar keine eineiigen.

Wer diese Spur dennoch weiterverfolgen möchte und an die Segnungen der Psychoanalyse glaubt, wie etwa die Prinzessin Marie Bonaparte, eine Schülerin Freuds, mag sich damit trösten, den eigentlichen Gegenstand der Lektüre in der unbewußten Phantasie eines Vatermordes zu entdecken. Was wäre auch gegen ein angenehmes Gruseln, wenn es sich denn einstellte, aufgrund bloßer Traumbilder einzuwenden?

Mit Nachahmungstätern wird man im übrigen, schon aus Mangel an geeigneten Opfern, nicht zu rechnen haben. Jemand, der sich durch die Aussicht auf einen Amontillado verleiten ließe, in ein unbekanntes Kellergewölbe oder sogar eine Katakombe hinabzusteigen, dürfte selbst im Karneval, der Jahreszeit, in der Poes Geschichte spielt, selten anzutreffen sein.

Die Geschichte “Das Faß Amontillado” ist in deutsch, übersetzt von Hedda Eulenberg (1901), verfügbar bei Haus Freiheit:
www.haus-freiheit.de/poegrausige/fassamontillado.html

 

Die eingemauerte Katze

In der Schauergeschichte “Der schwarze Kater” (im Original: “The Black Cat”) von Poe trägt eine versehentlich mit dem Leichnam seiner von ihm erschlagenen Ehefrau eingemauerte Katze dazu bei, den Täter zu entlarven. Während in der drei Jahre später erschienenen Erzählung vom Faß Amontillado ein Motiv wenigstens vage angedeutet wird, handelt der Protagonist hier aus schierer Mordlust. Dennoch räumte Poe auch ihm ohne weiteres die Rolle des Vortragenden mit dem Recht auf den Gebrauch der ersten Person Singular ein.

Man mag den technisch gelungenen Spannungsaufbau durchaus schätzen. Aber es erstaunt ein wenig, welche Faszination, liest man einige Kommentare und Rezensionen, offenbar vom Bösen ausgeht, selbst wenn es ohne jede Maske auftritt.

Darf man im Ernst unterstellen, der Leser werde, gleichsam kathartisch, durch die Geschichte an die dunklen Seiten seiner eigenen Seele erinnert, womöglich an die vielen Morde, die er selbst gern begangen hätte, aber schließlich doch immer wieder unterlassen hat? So weit verstieg sich selbst in ihren besten Zeiten nicht einmal die immer und überall die Sünde witternde christliche Theologie. Beiläufig und sicher erleichtert bemerkt der Leser bei dem sich anbietenden Vergleich, daß vieles, was die Kirche als Sünde phantasierte, höchst erfreulich, meist vergnüglich und deshalb selbst für Kardinäle oft unwiderstehlich war.

Die solchen Geschichten nachfolgende Beichte wird man sich eher als leicht verdauliche Kost vorzustellen haben. Aber welchem Priester würde jemand, verbliebe ihm auch nur ein Rest von gutem Geschmack, ein Geständnis zumuten, das ein blutig herausgeschnittenes Auge einer unschuldigen Katze und den vom Beil gespaltenen Schädel einer sanftmütigen Ehefrau zum Gegenstand hätte? Ergänzten sich solche Details nicht eher zu einer Fallstudie für die Psychiatrie?

Der deutsche Text der Poe-Erzählung “Der schwarze Kater” in der Übersetzung von Hedda Eulenberg (1901)  bei Haus Freiheit:
www.haus-freiheit.de/Poekrimi/schwarzekater.html

 

Rugaro

Nahe diesem Ort (inzwischen übliche Schreibweise Lugalo) im heutigen Tansania, an der Straße nach Iringa, geriet ein kleines Expeditionscorps der deutschen Schutztruppe - vierzehn Europäer, 320 bis 360 afrikanische Söldner, meist Sudanesen und Zulus, und ungefähr 170 Träger - am 17. August 1891 in einen Hinterhalt der Hehe und wurde fast vollständig aufgerieben.

Die Hehe (auch Wahehe, wenn ihre Volkseigenschaft betont werden sollte) waren einer der damals so genannten Raubstämme, die im wesentlichen davon lebten, ihre weniger kriegstüchtigen Nachbarn auszuplündern und Karawanen zu überfallen. Die eher friedlichen, meist Ackerbau treibenden Bantustämme neigten deshalb häufig dazu, sich notgedrungen mit den Deutschen zu arrangieren und bei ihnen gegen ihre afrikanischen Unterdrücker Hilfe zu suchen.

Auf eine solche Bitte hin scheint sich der deutsche Militäreinsatz bezogen zu haben, wobei der noch recht provisorischen Kolonialverwaltung nicht klar gewesen sein mag, gegen wen sie die Schutztruppe überhaupt ins Feld schickte. Eingedrungene Mafiti, die sie bekämpfen sollte, waren Feinde schlechthin, wohl auch Strauchdiebe aller Art, die diesen Namen als eine imponierende Eigenbezeichnung verwandten. Der Begriff bezeichnete jedenfalls keine identifizierbare Volksgruppe.

Der Kommandeur Emil von Zelewski führte die ihm anvertrauten Soldaten mit einer so unglaublichen Mischung aus Hochmut und Unbekümmertheit ins Verderben, daß die Frage nach der Rationalität deutscher Personalpolitik in den Kolonien, die sich schon bei Dr. Peters stellte, auch hier erlaubt sein darf. In der sicheren Gewißheit, jedem möglichen Gegner zahlenmäßig weit unterlegen und auf seine Feuerkraft angewiesen zu sein, schickte er vom Rufidji seine beste Kompanie , die 3. unter Leutnant Prince, gegen dessen Rat, vorzeitig nach Hause und traf keinerlei Anstalten, seinen waffentechnischen Vorteil überhaupt nutzen zu können.  Der Versuch von Bülows, ihn zumindest teilweise zu rehabilitieren, überzeugt nicht recht. Sicher war das Gelände schwierig. Aber warum sollte Feindaufklärung unmöglich gewesen sein, wo doch die Gegner, die Hehe, gerade damit reüssierten? (Siehe hierzu Ernst Niegmann: Die Wahehe. Ihre Geschichte, Kult-, Rechts-, Kriegs- und Jagd-Gebräuche, Berlin 1908, Skizze zur Angriffstaktik der Hehe.)

Der Überfall endete mit 260 bis 300 toten Soldaten auf Seiten der Schutztruppe - zehn deutschen Offizieren und Unteroffizieren und 250 (von Tettenborn) bis 290 (Ernst Nigmann, Geschichte der Kaiserlichen Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika, Berlin 1911, S. 146) Askaris - sowie etwa hundert erschlagenen oder erstochenen Trägern. Über die Opfer bei den Hehe sind keine genauen Angaben verfügbar. Leutnant von Tettenborn nahm deren Zahl, ziemlich willkürlich, mit 700 an. (Amtspresse Preußens, X. Jahrgang, Nr. 78 v. 9.10.1891, S. 4, einzusehen im Internet unter:
http://amtspresse.staatsbibliothek-berlin.de”).
Die Verluste waren jedenfalls so hoch, daß die Hehe davon absahen, den Kampf gegen die Reste des Expeditionscorps (vier deutsche Offiziere und Unteroffiziere, zwei Effendis, 62 Askaris und 75 Träger), die sich auf einer Höhe verschanzt hatten, fortzusetzen (v. Tettenborn, aaO).

Näheres hierzu bei: Bernd Arnold, Die Schlacht bei Rugaro 1891, in: Studien zur Geschichte des deutschen Kolonialismus in Afrika (hrsg. v. Peter Heine und Ulrich van der Heyden), Pfaffenweiler 1995, S. 94 - 113

Die Darstellung Arnolds basiert hinsichtlich des Gefechts, sicherlich keiner Schlacht, im wesentlich auf den Berichten der Leutnants von Heydebreck und von Tettenborn sowie auf den Aussagen anderer überlebender Soldaten. Wer sie lesen möchte, wende sich an das Bundesarchiv (Reichskolonialamt, Bd. 279, Bl. 91ff und Bl. 154-162, zitiert nach Arnold):
www.bundesarchiv.de

 

Olympia

Fiktiver Name einer jungen Frau auf einem Gemälde Édouard Manets. Es wurde erstmals im Pariser Salon von 1865 (Nr. 1428) gezeigt und gehört jetzt zum Bestand des Musée d’Orsay (Galeries du Jeu de Paume) in Paris (Abbildung in: Manet 1832-1883, Éditions de la Réunion des musées nationaux, Paris 1983, Tafel 64 auf S. 175).

Die Komposition nimmt überdeutlich auf Tizians “Venus von Urbino” (1538, Uffizien, Florenz) und deren Vorgängerin, die “Schlummernde Venus” von Giorgione (um 1510, Gemäldegalerie Alte Meister, Dresden), Bezug, die Tizian vollendet hat. Man mag darin eine Parodie erkennen. Viele Zeitgenossen des Malers empfanden diese Anleihe als unpassend, wenn nicht sogar als eine Art von Blasphemie.

Manet verzichtete auf jede historische oder mythologische Anspielung, ließ auch das beliebte Motiv der Odaliske aus, blieb in der Pariser Gegenwart und nutzte die Vorlage, um, statt einer Göttin, eine Kokotte ins Bild zu setzen. Sein damals bevorzugtes Modell, Victorine Meurent, deren fahlrotes Haar ihn besonders entzückte, übte diesen Beruf übrigens nicht aus, war später ebenfalls als Malerin tätig und sogar mit einem Selbstportrait im Salon von 1876 vertreten. Tabarant berichtet, sie sei Jahre danach auf unglückliche Weise aus der Bohème in den Alkoholismus und ins Elend abgeglitten (A. Tabarant: La fin douloureuse de celle qui fut l’Olympia, in: l’Ouevre, 10.7.1932, zit. nach Manet 1832-1883, S. 105).

Der Name Olympia soll zu Manets Zeit in der Pariser Halbwelt als Pseudonym verbreitet gewesen sein, ist aber für den Betrachter doppeldeutig, weil er auf E.T.A. Hoffmanns ingenieurmäßig konstruierte Frau (Olimpia), ein Maschinenwesen, in seiner Erzählung “Der Sandmann” hinzuweisen scheint. Auch die Rivalin der Kameliendame in dem gleichnamigen Roman von Alexandre Dumas d.J. (Erstausgabe Paris 1848), eine schöne Kurtisane, nannte sich so. Es ist keineswegs auszuschließen, daß Manet auf diese Parallelen gar nicht anspielen wollte, sondern den aus der griechischen Antike geschöpften Namen nur wählte, um die bevorzugten Sujets der damaligen akademischen Malerei ironisch zu spiegeln.

Das von Manet zitierte Motiv der schwarzen Dienerin oder Sklavin schätzte man schon im 18. Jhd. (vgl. etwa Nattier, Mlle de Clermont en sultane, 1773, Wallace Collection, London) und griff es auch in der ersten Hälfte des 19., meist ebenfalls orientalisch verbrämt, gern auf. Ein einleuchtender Grund für seine Verwendung durch Manet ist nicht ohne weiteres zu erkennen, worauf schon Zola, obgleich er das Gemälde bewunderte, zutreffend hinwies (“Qu’est-ce tout cela veut dire? Vous ne le savez guère, ni moi non plus”, Zola in: Revue du XIX. siècle, 1.1.1867, S. 58-59 - zu übersetzen etwa: Was bedeutet das alles? Sie - gemeint ist Manet - wissen es kaum, ich auch nicht.) In maltechnischer Hinsicht erleichterte es natürlich die Verteilung heller und dunkler Flächen im Bild. Dafür entbehrte es jeder Originalität. Wir finden es beispielsweise schon bei Sigalon (Une jeune courtisane, 1821, Musée du Louvre), Ingres (l’Odalisque à l’esclave, 1839, The Fogg Art Museum, Cambridge, Massachusetts), Jalabert (l’Odalisque, 1842, Musée des Beaux-Arts, Carcassonne) und Bénouville (Esther ou Odalisque, 1844, Musée de Pau).

Ein Vorläufer der Olympia war zweifellos Manets Tuschzeichnung “La femme au chat” (1862-63, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins), für die noch nicht die etwas spröde Victorine Modell gelegen hatte. Die Schöne dieses Bildes ist leider unbekannt. Man mag bedauern, daß sie Manet nicht für die Olympia erhalten blieb. Vielleicht wäre das Ergebnis näher an Goyas “la Maja desnuda” (um 1802, Museo del Prado, Madrid) gerückt, durch die Manet ebenfalls, wenngleich nicht so deutlich wie durch Tizian, angeregt worden sein soll.

Manets Gemälde hat wiederum anderen Malern als Vorlage gedient, etwa Cézanne (Une moderne Olympia, 1873, Musée d’Orsay), Gauguin (Der Geist der Toten wacht, Manao tupapau, 1891, Albright-Knox Art Gallery, Buffalo, N.Y.), Picasso für eine Skizze von 1901 (Parodie de l’Olympia de Manet représentant Junyer et Picasso, Privatsammlung.), eher eine Gelegenheitsarbeit, und Dubuffet (Olympia, 1950, New York).

Fundstellen, soweit im Internet verfügbar:
Manet, Olympia:
www.musee-orsay.fr
Tizian, Venus von Urbino:
www.virtualuffizi.com
Giorgione, Schlummernde Venus:
http://de.wikipedia.org
Nattier, Mlle Clermont en sultane:
www.wallacecollection.org
Sigalon, Coutisane:
www.culture.gouv.fr
Ingres, l’Odalisque à l’esclave:
http://fr.wikipedia.org
Jalabert, l’Odalisque:
www.19thc-artworldwide.org
Bénouville, l’Odalisque:
http://commons.wikimedia.org
Gauguin, Der Geist der Toten wacht:
www.zeno.org
Picasso, Parodie der Olympia:
www.the-athenaeum.org

 

Heuschrecken

Wenn die Tierchen in Schwärmen auftreten, vermögen sie sogar einen Pharao aus der Ruhe zu bringen (Exodus, 10,3-20). Sie gelten für Menschen als eßbar. Man kennt sie nicht nur aus der jüdischen Küche (wenngleich wohl lediglich aus der jemenitischen Diaspora), sondern verspeist sie auch in Afrika, etwa in Tansania. Der Name ist dort Senene. In der feineren europäischen Küche gelten Heuschrecken als entbehrlich.

Wer sie unbedingt selbst zubereiten und probieren möchte, findet ein Rezept (aus Südafrika) unter:
www.kirchenweb.at/kochrezepte/

Der Vorschlag aus dem jemenitisch-jüdischen Kochbuch “Jemenite & Sabra Cooking”, mitgeteilt von Ulrich Sahm, ist wiedergegeben bei:
www.hagalil.com/archiv/2005/05/heuschrecken.htm

 

Dschagga

Für den Bantustamm mit stark hamitischer Prägung ist auch der Begriff Wadschagga gebräuchlich, was den Wortbildungsregeln entspricht. Das Adjektiv hamitisch ist inzwischen, trotz seines biblischen Ursprungs, auf die schwarze Liste der nicht mehr verwendbaren deutschen Wörter gelangt, wird aber hier wegen seiner Anschaulichkeit dennoch gebraucht.

Die Dschagga siedelten schon in vorkolonialer Zeit an den Süd- und Südosthängen des Kilima Ndjaro(In Kiswahili, der Verkehrssprache Tansanias, eigentlich: Kilima Cha Ndjaro - etwa: Der kleine Berg von Ndjaro, einem Gott, der dort wohnen soll.). Politisch waren sie nach verschiedenen Angaben in 28 bis 38 Häuptlingsherrschaften, wie man die Einheiten vielleicht am ehesten nennen kann, zersplittert. Ein übergeordnetes staatsähnliches Gebilde, etwa wie bei den Hehe, gab es nicht. Kriege und Scharmützel untereinander waren häufig. Auch im Dschaggaland waren die Zustände in den überschaubaren Jahrzehnten vor der europäischen Fremdherrschaft, die damit keineswegs gerechtfertigt werden soll, durchaus nicht paradiesisch. In den Zeiten, über die man nichts Sicheres weiß, mag es natürlich beschaulicher und ausschließlich friedlich zugegangen sein.

Nähere Ausführungen aus der guten alten Zeit enthält das deutsche Koloniallexikon von Schnee unter dem entsprechenden Stichwort:
www.stub.bildarchiv-dgk.uni-frankfurt.de

 

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